Satt, aber nicht versorgt

Viele Menschen in Deutschland können sich gesunde Ernährung nicht leisten.

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Diesen Hunger spürt man nicht. Man sieht ihn auch nicht. Und doch hat er Folgen für die Gesundheit. Ernährungsmediziner wie Hans-Konrad Biesalski vom Institut für Ernährungswissenschaft an der Universität Hohenheim sprechen vom sogenannten „Hidden Hunger“, verborgenem Hunger.

Verborgen, weil sich der Mangel an Mikronährstoffen wie Eisen, Zink oder Vitamin A zunächst nicht körperlich zeigt und weil er in der offiziellen Definition der Welternährungsorganisation (FAO) von Hunger übersehen wird, kritisiert Biesalski auf der Ernährungsfachtagung der baden-württembergischen Sektion der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE-BW) an der Universität Hohenheim. „Sind pro Kopf eine Mindestanzahl an Kalorien verfügbar, bedeutet dies nach Ansicht der FAO, dass kein Hunger zu befürchten ist“, sagt er.

Für diese Berechnungen seien die Nahrungsmittel Reis, Mais und Weizen die Grundlage. Diese zusammen mit den Makronährstoffe wie Fett, Eiweiß und Kohlenhydrate machen satt. Da merkt man schnell, wenn zu wenig vorhanden sind. Der Nachteil: „Sie enthalten aber kaum lebenswichtige Mikronährstoffen wie Vitamine, Minerale und Spurenelemente“, sagt Biesalski. Diesen Mangel spürt man nicht anhand eines knurrenden Magens, er zeigt sich an Darmproblemen und Hautekzemen – und das nicht nur in den Entwicklungsländern.

Ein Mangel an Zink schwächt das Immunsystem des Neugeborenen

Mit zunehmender Armut sind auch immer mehr Menschen in den Industrienationen betroffen. Für viele Kinder beginnt der Mangel bereits im Mutterleib. Es kommt zu Frühgeburten, und die Kinder kommen mit einem sehr niedrigen Geburtsgewicht auf die Welt. „Wenn das ungeborene Kind schlecht mit Vitamin A versorgt ist, kann sich die Lunge nicht vollständig entwickeln. Ein Eisenmangel begünstigt Infektionen in den ersten Lebenstagen“, sagt der Ernährungsmediziner.

Auch ein Mangel an Zink schwächt das Immunsystem des Neugeborenen. „Die Mangelerscheinungen schränken das Wachstum von Kindern ein. Den Kindern fällt es schwerer zu lesen, zu schreiben und zu lernen“, sagt er. Amerikanische Forscher haben herausgefunden, dass Kinder, die unter Mängeln leiden, in ihrer Gehirnentwicklung, im Vergleich zu gesunden Gleichaltrigen, zurück liegen.

Die Folgen für den Nachwuchs sind geringere soziale Chancen, niedrigere Bildung und eine schlechtere Gesundheit. „Sie werden häufig später eingeschult, sind oft krank und verdienen als Erwachsener im Schnitt 20 Prozent weniger“, sagt er. Wie viele Kinder in Deutschland von einer mangelnden Versorgung betroffen sind, weiß auch der Experte nicht. Es gibt dazu bislang keine Studien. Dennoch ist er überzeugt, dass der Hidden Hunger auch hier ein größer werdendes Problem darstellt.

„Zwar sind hier Lebensmittel im Überfluss vorhanden, aber immer mehr Menschen können sich auf Dauer eine ausgewogene Ernährung nicht leisten“, sagt Biesalski. Der Hartz-IV-Satz reicht für die gesunde Ernährung von Kindern nicht aus. „Je nach Alter kostet eine kindgerechte Ernährung mit allen erforderlichen Nährstoffen zwischen drei und sechs Euro pro Tag und Kind“, sagt Biesalski. Doch der Höchstsatz sehe für Ernährung täglich nur zwischen zwei und drei Euro für die bis zu sechsjährigen Kinder vor.

Viele gesunde Lebensmittel haben ihren Preis

Familien mit zwei Kindern gelten in Deutschland als arm, wenn sie weniger als 1800 Euro im Monat zur Verfügung haben. Kinder solcher Familien sind oft in einem Teufelskreislauf gefangen. „Armut wird vererbt“, sagt Dorothee Spannagel von der Hans-Böckler-Stiftung. Viele gesunde Lebensmittel haben ihren Preis. Wer auf jeden Cent achten muss, greift zu günstigeren Produkten, die satt machen. „Aber je niedriger der Preis, desto höher ist zwar die Energiedichte, aber die Qualität, also die Menge an Mikronährstoffen, ist gering“, sagt Biesalski. Und sie haben den Nachteil: „Sie machen dick“, sagt er.

Für eine unzureichende und falsche Ernährung ist allerdings nicht nur das Einkommen ausschlaggebend, sondern auch das Wissen und der Bildungsabschluss. „Der Verzehr von Obst und Gemüse steigt mit dem Bildungsniveau“, sagt Petra Lührmann von der Pädagogischen Hochschule in Schwäbisch Gmünd. Das gelte auch für Fleisch, Fisch und Milchprodukte. Lührmann hat außerdem herausgefunden, dass für alle Verbraucher, unabhängig vom Einkommen, bei den Produkten Geschmack, Frische und Gesundheit entscheidend seien. „Bei den einkommensschwachen Haushalten kommt dann aber sofort der Preis“, sagt sie. Deshalb würden auch viele im Discounter und weniger auf dem Wochenmarkt oder in Fachgeschäften einkaufen.

Um zumindest die Kinder aus einkommensschwachen Familien mit gesundem Essen zu versorgen, plädiert Biesalski für kostenloses und gutes Essen in Kindertagesstätten und Schulen. „Bisher sieht man politisch aber keine Bewegung“, sagt er.

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